Nietzsches Problem der Rangordnung by Benjamin Alberts

Nietzsches Problem der Rangordnung by Benjamin Alberts

Autor:Benjamin Alberts
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2022-05-03T09:22:28.129000+00:00


4.3.2.3 Die Moral der Rangordnung der Moralen

Weil eine Rangordnung der Moralen immer auf die Vielzahl der Moralen verweist, befreit sie vom befangenen Standpunkt der eigenen Moral und den universalen Ansprüchen der herrschenden Moral. Sie öffnet die Augen dafür, dass von eigenen moralischen Vorstellungen abweichende Handlungen nicht einfach böse sind, sondern sie als Teil einer anderen Moral sinnvoll, gar lebenswichtig sein können – jenseits von Gut und Böse. Die Rangordnung ermöglicht alternative Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten, und so könnte es überlebensnotwendig sein, sich offen mit dem Problem der Rangordnung auseinanderzusetzen, um den sich ständig ändernden Lebensbedingungen immer wieder neu gerecht werden zu können.

Während herrschende Moralen allgemeine Gültigkeit für alle beanspruchen und bestimmte Handlungsweisen erzwingen wollen, macht eine Konfrontation mit anderen Moralen, die andere, widersprechende Werte und Handlungsweisen vorgeben, auf die Entscheidbarkeit von moralischen Werten aufmerksam. Nimmt eine einzelne Moral Verantwortung ab, weil sie Handlungsentscheidungen vorgibt, so führen mehrere, sich ausschließende Moralen zu mehr Verantwortung, weil sie neue Handlungsentscheidungen fordern. Die herrschende Moral kommt denen entgegen, die diese Verantwortung nicht tragen wollen oder können und eine möglichst geregelte Orientierung an der Moral mit möglichst klaren Handlungsspielräumen innerhalb der Moralgemeinschaft nötig haben. Eine Mehrzahl von Moralen hingegen fordert heraus, sie vereinzelt, reißt den Einzelnen aus der Sicherheit der Moralgemeinschaft und öffnet einen ganz neuen Horizont voller Handlungsmöglichkeiten, vor dem man sich zurechtfinden muss. Man muss sich dann neu orientieren, nämlich im Umgang mit den verschiedenen Moralen.169 Die Fähigkeit dazu ist individuell ganz verschieden und damit gerade eine Frage der Rangordnung. Eine Moral im Umgang mit Moral nimmt darauf Rücksicht, schreibt nicht jedem die gleichen Werte vor wie eine herrschende Moral, sondern wird vornehm so viel Pluralität zulassen, wie man verkraften und verantworten kann – auch darin zeigt sich der Rang einer jeden Persönlichkeit. Man könnte in diesem Sinn von einer Rangordnung von Rangordnungen sprechen.

Eine Rangordnung der Moralen zielt nicht darauf, die Pluralität der Moralen durch eine neuerliche Auswahl zu beschränken. Sie konserviert vielmehr diese Pluralität, weil eine Rangordnung immer nur durch jedes einzelne ihrer Elemente bestehen kann. Die Pluralität ist für die Rangordnung konstitutiv. Weil, wie sich gezeigt hat, jeder nach seiner Perspektive verschiedene Kraft zum Aufstellen und Aushalten der Rangordnung hat, muss es auch verschiedene Rangordnungen geben.170 Die Bedeutung einer einzelnen Rangordnung wird so relativiert, sie ist eben nur auf Zeit, nur für bestimmte Individuen und nur in ihren Perspektiven maßgeblich. Die Rangordnung ist aufgrund ihrer inhärenten Pluralität kein Problem einer ewigen Werteskala, einer Hierarchie, und taugt daher auch nicht zum Letztbegriff.



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